Den biblischen Gott darstellen

Fragmente einer Bildtheologie bei Karl Rahner

Wer einen Blick auf Karl Rahners 40-bdge. Sämtliche Werke wirft oder seinen nüchtern-widerständigen Schreibstil kennt, mag überrascht sein, dass er sich auch zu den Künsten äußerte. Schaut man ins Register, so sind es nur wenige Essays und Gelegenheitsschriften und tatsächlich nur ein einziger später Beitrag, der sich explizit der Kunst des Bildes widmet.1Vorgrimler verweist auf Rahners Pläne, Kunst als eigene Unterkapitel im Aufriss der Dogmatik und dem Handbuch Pastoraltheologie als spezielle Ausformung der ekklesiologischen Situation in der Welt von heute zu integrieren (vgl. Vorgrimler, Herbert: Heutige Theologie und heutige Kunst (1964), in: Ders.: Wegsuche. Kleine Schriften zur Theologie 2 (MThA49/2). Altenberge 1998, 592–602, 594). Weitere kleine Beiträge von Rahner befassen sich nicht mit dem Wesen der Bildkunst, sondern mit Sprachbildern, Theologie und Literatur, Theologie und Dichtung etc. und fallen überwiegend in die Phase seiner Begegnung mit der Schriftstellerin Luise Rinser Anfang der 1960er Jahre. Dieser Artikel atmet zugleich aus der ganze Bandbreite seines theologischen Schaffens und geht doch in der Rezeptionsgeschichte fast unter.4Zu diesem Phänomen und seiner Einordnung, etwa im Vergleich zum deutlich mehr behandelten Hans Urs von Balthasar vgl. Hétier, Denis: Élements d’une théologie fondamentale de la création artistique. Les écrits théologiques sur l’art chez Karl Rahner (1954–1983), in: RSR 107 (2018), 467–486, 467–470. Thematisiert wurde Rahners Zugang zu Kunst, mit Ausnahme von Vorgrimleres Beitrag 1964, erst postmortem und weltweit verstreut (Frankreich, Portugal, UK, USA).2Die wichtigsten Beiträge, die sich mit dem Thema befassen, sind chronologisch: Vorgrimler, Theologie 592–602; Duque, João M.: A arte como teologia. Sobre alguns textos de Karl Rahner, in: Theologica 30 (1995) 139–153; Tourenne, Yves: Amorce d‘une esthétique théologique chez Karl Rahner?, in: RSR 85 (1997) 383–418; Little, Brent: Anthropology and Art in the Theology of Karl Rahner, in: HeyJ 52 (2011) 939–951; Hétier, Élements 467–486 (Neuabdr. 2020); Chong, Vicente: A Theological Aesthetics of Liberation. God, Art, and the Social Outcasts, Eugene, OR 2019. Nachfolgend sollen die Gedanken Rahners und seiner RezipientInnen knapp korreliert und dann auf ihr Potenzial für eine heutige Bildtheologie hin befragt werden. Die Struktur orientiert sich dabei an der für Rahner typischen Konstellation: zunächst die anthropologischen Voraussetzungen, dann die religiös-lehramtlichen Gegebenheiten und schließlich die aktuellen Problemstellungen.

I. Bildlichkeit und Anthropologie

Seinen Beitrag Zur Theologie der religiösen Bedeutung des Bildes (1983)3Rahner, Karl: Zur Theologie der religiösen Bedeutung des Bildes, in: SW 30. Freiburg i.Br. 2009, 471–483. eröffnet Rahner mit der Feststellung, Kunst setze, ebenso wie jeder andere menschliche Verstehens-Akt, eine Form sinnlicher Erkenntnis voraus, nur um gleich nachzulegen, dass zwischen materieller und geistiger Erkenntnis zwar zu unterscheiden sei, sie aber nicht schlechterdings getrennt werden könnten.5Vgl. ebd. 471f. Wenn man ein Bild erkennen wolle, dann sei es zunächst gleichgültig, ob dies auf materielle oder geistige Art geschehe, es müsse jedenfalls ein Akt des Sehens sein. Das Sehen aber, so wie jeder Sinn, greift immer schon über das eigene Sein hinaus nach einem Anderen und ist somit ein (kleiner) Akt der Transzendenz.6Vgl. ebd. 480. Dieser hat eine zusätzliche Besonderheit, denn er ist unvertretbar und inkonsummerabel, d. h. ich kann das Bild nur sehen, wenn meine sinnliche Fähigkeit zu Sehen vorhanden ist. Auch wenn wir sagen eine blinde Person könne quasi „mit den Ohren sehen“ oder man könne ihr durch Beschreibung des Gegenstandes „ein Bild vermitteln“, ist es letztlich nicht so, als könnte das Hören die gleiche Qualität wie das Sehen eines Bildes einnehmen.7Vgl. ebd. 474. Dies bedeutet im Umkehrschluss, ein Bild verlangt, von seinem Wesen her, gesehen zu werden und ist damit von vorne herein ein auf Transzendenz hin konzipiertes Objekt.8Vgl. Rahner, Theologie 477; Chong, Aesthetics 53.

Um diese Aussage in den Kontext seiner Theologie zu stellen, seien an dieser Stelle noch zwei Anmerkungen gemacht. Rahner hatte in seinen frühesten Schriften (1930er-Jahre) über die geistigen Sinne bei den Kirchenvätern und über die Herz-Jesu-Frömmigkeit und ihre theologischen Quellen publiziert.9Gut zu erkennen auf den Seiten Rahner, Theologie 473–476 (Texte zu geistigen Sinnen und Herz Jesu in Rahner, SW 1–3). Die Möglichkeit, mit verinnerlichten Sinnen nach Gott als dem Welttranszendenten auszugreifen, mündete später in die zwei Merkmale der berühmten Rahnerschen anthropologischen Wende, den Hörer des Wortes und das übernatürliche Existenzial. Wenn Rahner also davon spricht, die Wahrnehmung von Kunst sei in sich ein Akt der Transzendenz, dann sieht er die Schaffung von Kunst zugleich als eine Schöpfung des Menschen bzw. als menschlichen Anteil an der creatio continua an. Dies verbindet er notwendig mit dem Schöpfungswort (Gen 1,3; Joh 1,1), das aus dem Inneren Gottes hervorgeht wie das Kunstwerk aus den KünstlerInnen (Anlehnung an Heideggers These des verdichteten Schweigens als Ursprung der Sprache).10Vgl. Hétier, Élements 472

Ein zweiter Aspekt bei der Kunstbetrachtung hängt mit Rahners Verständnis von geistiger Übung und Mystik zusammen. Für ihn ist die „Bildbetrachtung“ (eine jesuitische Übung) keinesfalls mit der Kontemplation vergleichbar, da letztere das sich-Ausrichten auf Gott und nicht auf ein Medium der Vermittlung (das Bild) hin praktiziert. Der Mensch kann sich folglich dem Göttlichen auf mehrere Wege anzunähern suchen, wobei die Bildbetrachtung im Nachhinein eine Form von gedeuteter Erfahrung ist, die mit pneumatischen Eigenschaften zusammenfällt und eine Funktion für die Gesellschaft bzw. die Kirche erfüllt.11Ähnlich Hétier, Élements 485; Vorgrimler, Theologie 594. KünstlerInnen, die sakrale Kunst gestalten wollen, müssen ihr inneres Auge schärfen und offen für den Geist sein, da ihr Charisma und die Inspiration Voraussetzungen sind und man deshalb bei Sakralkunst von theologisch begnadeten Künstlern sprechen könne.12So Little, Anthropology 939.

Um die anthropologischen Voraussetzungen von Rezeption zu schaffen, hat Rahner nach Chong und Duque bereits bei der universalen Sprache der Kunst angesetzt, d. h. er geht archetypisch von einer Art Symbolsprache in Bildern aus, die allen Menschen erlaubt, miteinander in der Kunst zu kommunizieren.13Vgl. Duque, Arte 143; Little, Anthropology 944; Chong, Aesthetics 49–53. Was hier schon anklingt, aber erst weiter unten diskutiert werden muss, ist das romantische Autorgenie, die Wende zur Rezeption durch die Betrachtenden und vor allem das Problem eines ontologisch-metaphysischen Kunstverständnisses, welches kulturelle Gegebenheiten bis zu einem gewissen Maße ignorieren muss, um funktionieren zu können.

II. Religion und die Darstellbarkeit Gottes (im Christentum)

Für Rahner kommt nur spezifisch religiöse Kunst als Ort seines theologisch-ästhetischen Fragens in den Blick, weshalb wichtig ist, was Kunst für ihn als religiös qualifiziert.14Vgl. ebd. 53. Duque, Arte 146, ordnet Rahner damit in eine allgemeine Tendenz der Theologie ein, Kunst als nebensächlich und eher von liturgisch-ästhetischem Interesse zu betrachten, als ihren theologiegenerativen Wert zu erkennen. Die knappste Antwort ist: Kunst muss, um religiös zu sein, über das Wesen des Religiösen und besonders über Gott spekulieren.15Vgl. Chong, Aesthetics 54. Tritt man einen Schritt zurück, so knüpft Rahner am Bereich der Sinne an und erkennt: „auch die religiöse Erfahrung geht von einer sinnlichen aus“.16Rahner, Theologie 472. Aus ihr entsteht, wie oben bereits geschrieben, die Produktion eines Kunstwerks. Andererseits kann aber auch ein Bild, das ursprünglich nicht religiös intendiert war, durch die rezipierende Betrachtung eine religiöse Bedeutung erhalten.17Vgl. ebd. 480. Das Bild an sich ist also zunächst nicht religiös, sondern erst die von ihm entfaltete Wirkung durch das „Gesehenwerden“18Vgl. ebd. 477. Besonders schwierig wird es nach Duque, Arte, 143, für die Kunst ab der Neuzeit, bei der oftmals zwar religiöse Motive gewählt wurden, jedoch keine religiöse Intention dahinterstand, z. B. die Darstellungen nackter Märtyrer wie der Hl. Sebastian, die erlaubten, die Ästhetik des menschlichen Körpers detailliert auszugestalten. (s. o.). In einem zweiten Schritt kann man zwischen allgemein religiösen und kultischen Bildern unterscheiden, wobei letztere sowohl im Ursprungs- als auch im Wirkungskontext religiös intendiert sein müssen, z. B. Ikonen oder antike Kultstatuen. Ihr religiöser Status wird dabei gesichert durch die kollektive Verehrung, d. h. selbst wenn ein kultisches Bild als solches gedacht war, hängt sein Funktionieren stärker von der Rezeption als von der Produktion ab.19Vgl. Rahner, Theologie 472.477. Auf S. 476 spricht er vom inkarnatorischen Prinzip als Garantie der Christusikone, eine echtes Kultbild zu sein, das sich theologisch von der Kunst des Westens abhebe, die das rein symbolische bzw. vermittelnde Elemente religiöser Kunst (sein Beispiel ist die biblia pauperum) nicht zur Verehrung hin überschreiten konnte. Für Rahner kann ein solches Kultbild nur die Gottheit darstellen, andere Ikonen oder auch die im Westen häufig verehrten wundertätigen Bilder v. a. Mariens, würden für ihn in eine andere Kategorie fallen.

In einem weiteren Schritt unterscheidet Rahner zwischen dem allgemeinen religiösen Bild und der Darstellung Gottes im Christentum, in Abgrenzung zu Judentum und Islam:

„Die Schaffung, Anerkennung, ja Verehrung des religiösen Bildes unterscheidet unter anderem ja das Christentum und seine Frömmigkeit von der des AT mit seinem Bilderverbot und vom Islam, also den beiden anderen großen monotheistischen Hoch- und Weltreligionen.“20Ebd. 476.

Was meint er damit? Rahners gesamtes Denken ist grundsätzlich christozentrisch. Im Akt der Inkarnation des Logos, so seine Annahme, muss der Sohn nach Joh 1,18 ganz Mensch gewesen sein. Als solcher war er durch die Sinne seiner ZeitgenossInnen wahrnehmbar und hat damit selbst die Grenze des sinnlich Wahrnehmbaren überschritten: er ist auch eine Offenbarung im Visuellen. Diese visuelle Erfahrung und die Tatsache seiner sichtbaren Auferstehung erlauben daher auch den KünstlerInnen nachfolgender Generationen, ihre Gotteserfahrung des Sohnes ins Bild zu bringen.21Vgl. ebd. 473. Da wir jedoch nicht mehr wissen, wie Jesus ausgesehen hat, ist allein das Zeugnis der Bibel und unsere rationale Spekulation übrig, um das Göttliche darzustellen. Im Gegensatz zu den anderen sogenannten abrahamitischen Monotheismen sieht Rahner in der Inkarnation die Überwindung des Darstellungsverbotes (Ex 20,4-6; Dtn 5,8-10); allerdings nur, das sei einschränkend zu sagen, in Bezug auf den Sohn. Er äußert sich weder zur Darstellung des Gnadenstuhls, der alle trinitarischen Personen abbildet, noch zum Symbol der Taube oder der Feuerzunge für die Geistkraft.

III. Problemfall moderne Kunst

Durch die Begegnung mit der modernen, vor allem abstrakter Kunst seiner Zeit sieht Rahner sich genötigt, noch einmal genauer auf die Funktion der Sakralkunst für die Theologie und den Glauben einzugehen. Zunächst einmal spricht er ganz in der Tradition des II. Vatikanischen Konzils von den Zeichen der Zeit und der historischen Gegebenheit als Transzendentalia der Kunst. Jede heilsgeschichtliche Epoche, so seine Meinung, braucht ihre eigene Art sich auszudrücken, und dies gilt selbstverständlich auch für die Künste, als eigenes Medium dieses Ausdrucks. Viele sakrale Kunstwerke vom Kirchenbau, über Graffito bis hin Heiligenbildern und Gemälden überdauern ihre Entstehungszeit und begegnen auch anderen ZeitgenossInnen, für die sie ihre intendierte Wirkung zu entfalten sollten und doch eine je neue und andere hervorrufen. Gemessen werden könne die Wirkung daran, ob das Kunstwerk einen „Durchbruch zu Gott“22Vgl. Rahner, Theologie, 478f.; Duque, Arte, 150. Duques Zugang ist an dieser Stelle sicher wesentlich existentialistischer, als der strikt ontologische Zugang von Rahner. Für die Kunstdeutung ist dieser Hinweis m. E. dennoch sehr wichtig, weil er auch auf protestantischer Seite gedacht wurde. Wenn ein Kunstwerk seine bildtheologische Deutung entfaltet, dann brauchen die Betrachtenden dafür eine eigene Hermeneutik, deren Züge religiös mitbedingt sind. Sie geht aus von dem, was das Subjekt je unbedingt angeht (P. Tillichs ultimate concern) und ist zugleich sicher, den Schlüssel zum Werk nur in der transzendenten Erfahrung zu finden. Von Schleiermacher bis Lauster wird über das Wesen dieser Hermeneutik und ihre möglichen Methoden spekuliert. In dieser Debatte kann interessant sein, dass Rahner dabei weiterhin strikt zwischen Kontemplation und Bildbetrachtung unterscheidet und deshalb ausschließt, dass die Betrachtung eines Bildes zu einer Form der unio mystica oder eines ähnlich gelagerten disclosure Erfahrung führen kann. vermittelt oder nicht.

Von dieser Funktion ausgehend geraten die abstrakten und sperrigen Kunstwerke der Avantgarde seit den 1960er-Jahren aus Rahners Perspektive in eine Schieflage.23Duque, Arte 141, entschuldigt Rahners Reserviertheit für moderne Kunst mit der langen Phase des Antimodernismus der Kirche, welcher es einem neuscholastischen Theologen wie Rahner de facto unmöglich machte, unvoreingenommen modernen Ausdrucksformen zu begegnen. Selbst ein freier Denker wie Rahner konnte nicht mehr seinen biographischen Horizont verlassen. Die Werke sind keine Symbole oder Piktogramme, die durch Kenntnis der Symbolsprache oder einfache Betrachtung entschlüsselt werden könnten. Schon gar nicht sind sie – wie die biblia pauperum – allen Menschen unmittelbar zugänglich, wenn sie nur die Geschichten kennen. Würde die anbrechende Spätmoderne nur solche Bilder verwenden, ohne die Tradition zu kennen, dann würde die Heilsgeschichte durch eine solche Sakralkunst verschleiert, so Rahner weiter, und etwa ein abstraktes Kreuz würde nicht mehr als Symbol hin auf die Hoffnung des Auferstanden gedeutet werden können.24Vgl. Rahner, Theologie 481. Doch Rahner wäre nicht er selbst, wenn er keine Lösung anbieten könnte: das Sprachbild. Rahner ist überzeugt, dass allein die Sprache in ihrer Präzision und Rationalität in der Lage ist, die Offenbarungserfahrung zu ermöglichen. Es ist also letztlich nicht das Bild selbst, sondern seine Wirkung in Gedanken und schließlich in geäußerten Worten, die den Durchbruch zu Gott perfekt macht.25Vgl. ebd. 475.481. Chong, Aesthetics, 55, wendet dagegen ein, dass Kunst immer das Produkt einer Offenbarungserfahrung ist. Die Darstellung ist dabei unabhängig vom Medium (Leinwand, Sprache etc.) nie univok, sondern immer analog. Chong will m. E. damit ausdrücken, Rahner traut der Sprache mehr zu, als ihr selbst nach dem linguistic turn zugebilligt werden kann. Ihre Präzision täuscht darüber hinweg, dass sie immer noch ein Symbol für die Erfahrung ist und eben kein – wie Rahner es nennen würde Realsymbol ( = ein Symbol, das identisch ist mit dem, was es symbolisiert). Post-StrukturalistInnen würden das gleiche Phänomen mit der Trennung von Signifikat und Signifikant erklären, um den metaphysischen Impetus des Analogieschlusses zu umgehen. Buchstaben sind dann ebenso Bilder, wie jede andere Kunst und den Kriterien der Konstruktion, der Konvention und der Sinnoffenheit unterworfen. Die Bildtheologie liegt nicht im Bild selbst, sondern in der Macht der Verkündigung, die aus ihm spricht.

Dieser etwas enttäuschende Passus am Ende wird bereits von Vorgrimler beinahe zwei Jahrzehnte zuvor erläutert. Für Rahner sei jede Form der Kunst, Dichtung, Malerei usw. nie in der Lage, eindeutige Aussagen zu treffen. Bilder sind vieldeutig und offen auf ihre Deutung hin, was Rahner ihnen als „metaphysische Schwäche“ anlaste.26Vgl. Vorgrimler, Theologie 597. Die neuscholastisch-thomistische Ästhetik verbindet Schönheit mit Wahrheit. Diese Universalien haben eine ontologische Qualität, d. h. eine Ästhetik der Hässlichkeit, wie sie gerade auch in der modernen Kunst immer wieder vorkommt, ist für Rahner nicht als theologiegenerativ denkbar, da das Wahre immer auch das Schöne sein müsse.27Vgl. ebd. 599.602. Doch Schönheit ist in diesem (im philosophischen Sinne) realistischen Denken immer auch präzise (clare et distincte) und dies gelingt, so die Idee, am Besten in der Sprache.

Duque und Little wenden gegen dieses Argument ein, Theologie laufe, wenn sie die offenen und öffnenden Möglichkeiten der Kunst übersehe Gefahr, prosaisch zu werden. Darüber hinaus verenge Rahner mit seiner Definition von religiöser Kunst die Freiheit der Kunst selbst und könne durch diesen Tunnelblick nicht gleichzeitig das befreiende Potenzial einer modernen Kunst erkennen. 28Vgl. Duque, Arte 151f.; Little, Anthropology 947. Dieses liege eben nicht immer in der Schönheit, sondern in der Darstellung der Begrenztheit menschlichen Denkens. Ein abstraktes Bild kann nicht durchdrungen werden.29Wendt, Karin: Überschreitungen? Überlegungen zur Deutung von Möglichkeiten und Grenzen in der Begegnung mit Kunst, in: Werntgen, Cai (Hg.): Szenen des Heiligen. Vortragsreihe in der Hamburger Kunsthalle (Verlag der Weltreligionen). Berlin 2011, 161–190, 186.

IV. Rahners Impulse einer Bildtheologie im Gespräch mit der aktuellen Diskussion

  1. Jede Form religiöser Kunst befasst sich ihrem Wesen nach mit der Frage der Darstellbarkeit des Göttlichen.
  2. Die Entwicklung einer Bildtheologie muss sich mit den anthropologischen Bedingungen der Möglichkeiten der Bildbetrachtung und –deutung befassen.
  3. Die Funktion eines Sakralbildes, sei es kultisch oder nicht, zielt auf die Ermöglichung einer Gottesbegegnung bzw. -erkenntnis ab.
  4. Eine dezidiert christliche Bildtheologie unterscheidet sich, aufgrund der Inkarnation des Logos, grundsätzlich von jüdischer und islamischer Kunst durch die immanente Gestalt des Jesus von Nazareth, in der sich Gott selbst als Motiv offenbart hat.
  5. Eine Bildtheologie entfaltet ihr volles Potenzial nicht im Bild selbst oder seiner Betrachtung, sondern erst in der verbalisierten Deutung, da das Wort Gottes Mensch wurde und somit das Wort die beste materielle Analogie bildet.

Vergleicht man diese Aspekte mit den initiativen Ausführungen von Reinhard Hoeps in dieser Zeitschrift30Hoeps, Reinhard: Gott sehen?. Erste Fragen der Bildtheologie, in: einBlick Bildtheologie 2/1 (2020) 1–4. (https://bildtheologie.de/gott-sehen/), dann gibt es zunächst einige Gemeinsamkeiten. Auch für Hoeps findet sich eine grundsätzliche Ausrichtung des Menschen hin auf Gott, die biblisch im Bedürfnis, Gott zu sehen, ausgedrückt wird (Ex 33). Ebenfalls gemeinsam ist die Unvollkommenheit der menschlichen Möglichkeiten, die Gottesbegegnung bildlich vollständig darzustellen, die sich im Bilderverbot von Ex 20 manifestiert hat.

Anders als Rahner sieht Hoeps die ikonische Differenz aber nicht als Spezifikum des Mediums bildender Kunst, sondern als anthropologische Tatsache an. Da der Mensch Gott nicht sehen oder völlig begreifen kann, wählen einige den „Umweg“ über die bildliche Darstellung und strebt dabei nach der bestmöglichen „Verschränkung von Sichtbarkeit und Transzendenz jenseits aller Sichtbarkeit“. Insofern dies ein eigener Weg zu Gott ist, handelt es sich bei bestimmten Arten von Kunst um einen eigenen locus theologicus. Sakrale Bildkunst, so verstehe ich Hoeps hier, erwächst selbst aus einer religiösen Praxis und ist kein Nebenprodukt der Verkündigung. Die Verschränkung von „Transzendenz mit sinnlich-materieller Manifestation“ und ihre Deutung in Produktion und Rezeption, entfaltet eine eigene Art von Theologie, die Bildtheologie, die in verbalisierter Form zwar beschrieben, aber nicht theologischer werden kann.

Fasst man zusammen, so ist nicht mehr alles, was Rahner vorschlug, zeitgemäß, doch kann es helfen, die beginnenden Ansätze eine Bildtheologie auszudifferenzieren. Wichtig erscheint die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeiten für die allgemeine und theologische Produktion, Wahrnehmung und Deutung von Bildern, die Unterscheidung zwischen sakral intendierten, sakral gedeuteten und kultisch-liturgisch verwendeten Bildern. Auch die Frage nach der Darstellbarkeit des Göttlichen und das specificum Christianum durch die Fleischwerdung Christi und die Bildsprache der Evangelien lädt zu vertiefter Auseinandersetzung und der Beschäftigung mit intermedialen Prozessen ein.

Eine zweite Stimme gegenwärtiger Forschung geht auf die protestantische Theologin und Kunsthistorikerin Karin Wendt zurück.31Wendt, Überschreitungen 161–190. Sie beschreibt zunächst phänomenologisch den erfahrungsbasierten Bezug zwischen Religiosität und Kunst:

„Eine genuine Andersartigkeit, eine nicht zufällige Abweichung von Alltagserfahrungen also, macht außer der ästhetischen die religiöse Erfahrung für sich geltend. Beide beanspruchen, ein besonders qualifizierender Prozess zu sein, also Erfahrungen der Bedeutungsanreicherung zu ermöglichen, die außerhalb des Ästhetischen beziehungsweise des Religiösen nicht zu haben sind.“32Ebd. 172.

Für sie ist in Religion und Kunst also ein anthropologischer Mehrwert zu finden, etwas, ohne dass die Menschheit ärmer wäre. Sie liest Anthropologie an dieser Stelle deutlich kulturwissenschaftlich, ergänzt aber wenige Seiten später die Kategorie der Freiheit. Religiöse Kunst ist für sie religiös gedeutete Erfahrung und diese wiederum ist, wenn sie den wahren Kern des Religiösen trifft, immer auch eine Erfahrung der Freiheit.33Vgl. ebd. 172.186. Diese Freiheit mündet in eine Pluralität von Ausdrücken, zu denen auch die moderne Kunst gehört. Sie ist, da sie nicht nur religiös intendierte Kunst hervorbringt, sich aber dennoch gerne und reichlich an der religiösen Bildwelt und ihren Motiven bedient, ein ständiges Spannungsfeld, das sich in Skandalen und breit angelegten Diskussionen entlädt.34Vgl. ebd. 173.

Anders als Rahner thematisiert Wendt religiöse Kunst nicht primär über die Darstellbarkeit des Göttlichen, sondern setzt stärker bei der Erfahrung der Menschen an. Obwohl beide hier in eine durchaus ähnliche Richtung gehen, ist ihre Grundlage für diese Annäherung von unten doch verschieden. Dies zeigt sich spätestens in der Funktion des Bildes, das für Rahner notwendig eine Gottesbegegnung ermöglichen muss, um Bildtheologie zu sein, während für Wendt (in diesem Beitrag) die Freiheitserfahrung als vermittelte Gotteserfahrung im Vordergrund steht. Auch wenn Wendt nicht dezidiert von Bildtheologie spricht, so wird doch bei ihr, in einer Linie mit Hoeps, deutlich, dass das Kunstwerk durchaus für sich selbst sprechen kann und nicht erst verbal entfaltet werden muss. Über eine spezifisch christliche Bildtheologie spricht Wendt nicht, folglich bleibt dieser Aspekt von Rahner hier unbehandelt.

V. Kritische Würdigung und Adaption

Mit Blick auf die Entwicklungen in den Kultur- und Religionswissenschaften der letzten 40 Jahre, möchte ich in diesem abschließenden Teil Rahners Aussagen noch einmal gegenprüfen und daraus abschließende Impulse für die Konzeption einer Bildtheologie formulieren:

ad 1. Rahners Religionsbegriff setzt voraus, dass jede Religion etwas Göttliches, genauer gesagt eine personifizierte Gottheit verehrt. Dies trifft zwar für die drei Religionen zu, die er bei seinen Ausführungen im Blick hat, aber nicht auf jede Denomination, die heute bekannt ist. Eine Bildtheologie müsste daher wirklich auf die religiöse Erfahrung und das Ausstrecken nach der Transzendenz in der produktiven wie rezeptiven Begegnung mit dem Bild abzielen. Also: 1. Jede Form religiöser Kunst befasst sich ihrem Wesen nach mit der Frage der Darstellbarkeit von religiös gedeuteter oder induzierter Transzendenzerfahrung (hin auf das Göttliche).

ad 2. Für Rahner und die meisten seiner hier zitierten Referenten ist die anthropologische Bedingung etwas eher Ontologisches. Die geschichtliche Wirklichkeit und sogar existenzialistische Züge treten zwar auf, doch einige Momente sollen hier noch ergänzt werden. Rahner ist noch der romantischen Kunsttheorie verhaftet, die sowohl vom Urhebergenie ausgeht als auch von der Idee der poetischen Universalsprache. Deshalb scheint es ihm durchaus logisch, dass alle Menschen Kunst gleich erkennen und deuten können – zumindest nachdem sie verbalisiert gedeutet wurde. Biblisch gesprochen hat er dabei die Sprachverwirrung von Babel (Gen 11,1-10) vergessen. Es ist keineswegs so, dass die Bildsprache oder auch nur die Motive oder Symbole eine universale Gültigkeit haben. So ist etwa die schoschana der Bibel zwar eine Lilienart, doch sie wächst nicht auf dem Feld, sondern ist eine Art des Wasserlotos. Aus diesem Grund gibt es europäische Darstellungen des Josef mit einer weißen Lilie (Feldblume), die den guten Tod symbolisiert, die gleiche Geschichte führte aber im asiatischen Raum, aus dem die biblischen Texte ursprünglich stammen, zu Darstellungen mit dem Lotos, der Blume des Lebens, weil es die jeweils lokal vorherrschende Lilienart ist. Aus dem gleichen biblischen Motiv wird ein kreatives Missverständnis, das je eine eigene theologische Bildsprache hervorbringt. Unzählige weitere Beispiele solcher Art lassen sich in der post-kolonialen Literatur und Kritik finden, die zeigen, wie plural die heutige Lebenswelt wahrzunehmen ist. Die Frage, die bei Rahner noch nicht gestellt wird, muss daher lauten, ob es eine metaphysisch-ontologische Anthropologie geben kann, die nicht bereits wesentlich plural ist. Diversifizierungen wie Bildung, Erziehung, Gender u. v. m. sind in die anthropologischen Bedingungen einzubeziehen.

Also: 2. Die Entwicklung einer Bildtheologie muss sich mit den allgemeinen wie konkreten anthropologischen Bedingungen der Möglichkeiten der Bildbetrachtung und -deutung befassen und insofern nicht nur allgemein, sondern auch wesentlich kontextuell sein.

ad 3. Rahner unterscheidet zwischen zwei Typen religiöser Bilder, dem Sakralbild und dem religiösen Bild. Das Sakralbild erfüllt eine konkrete Funktion im Glaubensvollzug und ist damit eine Sonderform des religiösen Bildes, z. B. eine Ikone. Was bisher wenig thematisiert wurde, sind die hermeneutischen Hintergründe von Produktion und Rezeption eines Bildes. Das Sakralbild, so machte Rahner bereits klar, muss als solches geschaffen und angenommen werden. Dabei spielen für ihn gnadenhafte Erfahrung (Charisma) und Inspiration der UrheberIn des Bildes ebenso eine Rolle, wie die entfaltete Wirkung innerhalb der Kirche. Setzt man dies etwas allgemeiner, so konstituieren also die religiöse Motivation, das Bild zu schaffen, und die verehrende Haltung innerhalb der Deutungsgemeinschaft (i. S. Stanley Fishs) das religiöse Bild als Sakralbild; oder, mit Umberto Eco gesprochen, das Bild muss in allen drei Intentionen (intentio auctoris, operis, lectoris) religiös erfahren sein. Damit ein Bild allgemein religiös gedeutet werden kann, so Rahner, muss es nur einmal als solches erfahren worden sein. Das Funktionieren des Bildes bestimmt sich daran, ob eine Transzendenzerfahrung gemacht wird, oder nicht. Bildtheologie ist, nach dieser Definition, in höchstem Maße subjektiv und fragil, da jedes Werk von jeder Person anders und nicht einmal zwingend religiös gesehen werden kann. Bildtheologie muss sich folglich fragen, ob sie rezeptions- oder produktionsorientiert agieren will und welche Gewichtung sie der intentio auctoris bei der Auswahl ihrer Themen geben will.

Also 3. Eine Bildtheologie, welche die Pluralität der Menschen und ihrer Meinungen und Erfahrungen zulassen kann, muss darum ringen, eine Definition für ihren Gegenstand zu finden. Dabei spielt gerade die Bewertung der Urheberschaft des Werkes (intentio auctoris) eine zentrale Rolle. Die Grundfragen lauten: Entscheidet die/der KünstlerIn im oder auch vor dem Akt der Bildschöpfung, dass das Ergebnis ein religiöses Werk sein wird? Drückt damit die schaffende Person im Bild ihre Bildtheologie aus oder aber entfaltet sie sich erst in den RezipientInnen? Sind der Schaffensprozess und die Deutung gleichermaßen (wenn auch vielleicht nicht in gleicher Weise) inspirierte und begnadete Geschehen? Und schließlich: Wie genau definiert sich die Gottesbegegnung oder Gotterkenntnis, die durch das Bild in allen seinen Phasen erreicht werden will bzw. woran erkennt man, dass sie funktioniert hat?

ad 4 und 5. Für Rahner ist klar, dass Christus das Motiv einer christlichen Bildtheologie schlechthin sein muss. Auf die Tatsache, dass auch Vater und Geist dargestellt werden oder auf die Vielzahl an verehrungswürdigen Personen, die auf Ikonen anzutreffen sind, wurde bereits hingewiesen. Seine These bereichert sicher die Frage, wie man eine christliche Bildtheologie von jener anderer Religionen unterscheiden kann. Auch sein Argument mit der Inkarnation erweist sich als weitgehend tragfähig, wenn man davon absieht, dass Sprache (vgl. Anm. xxv) selbst nur ein unvollkommenes Medium ist und deshalb nicht einfach als dem Bild überlegen betrachtet werden kann.

Einige Beispiele sollen diesen Aspekt noch verdeutlichen. Die arabische Kalligraphie als Art und Weise den Koran als Inlibration Gottes künstlerisch umzusetzen, ist zwar verbal, aber wesentlich bildhafter, als ein Gedicht oder eine Interpretation. Der Koran wird rezitiert, um die Schönheit seines gesprochenen Wortes und nicht in erster Linie die Bedeutung dieser Worte als Glaubensakt zu empfinden. Diese zwei Beispiele zeigen bereits, wie stark Sprache selbst zur Kunst werden kann. Sprache ist hier nicht rational, wie bei Rahner, sondern emotiv und ermöglicht gerade so einen Zugang zur Transzendenz. Da wir gerade im christlichen Spektrum unterwegs sind, sei auf die Parallelität dieser Beobachtung in den Bibelvertonungen Bachs hingewiesen, welche man nicht umsonst als fünftes Evangelium bezeichnet hat, weil sie einen eigenen Weg der Verkündigung darstellen.

Eine zweite Schwachstelle von Rahners Argument ist die These, Sprache sei wesentlich präziser als andere Formen menschlichen Ausdrucks. Der Fehler in seinem System ist der eine Sinn am Ende von allem. Zwar mag es eschatologisch zum Zusammenfallen aller Gegensätze im Punkt Omega kommen (Cusanus‘ coincidentia oopositorum u. T. de Chardin), doch zunächst einmal ist Pluralität und Differenz Teil der historischen Wirklichkeit. Kein Bild, sei es ein Gemälde oder ein Wort, ist strikt monosem. Die Polysemie der Sprache macht sie nicht nur mehrdeutig, sondern auch sinnoffen: es gibt nicht nur eine richtige Lesart, zumindest keine, die immanent erreichbar ist, sondern eine Vielzahl möglicher und gültiger Deutungen; Umberto Eco spricht hier vom offenen Kunstwerk. Da Gott selbst der Unbegreifliche und immer größere (Deus semper maior) ist, so muss auch jeder Versuch einer Darstellung von ihm, auch wenn es ein Kruzifix oder eine Ikone ist, notwendig hinter dem Wesen Gottes zurückbleiben. Die Offenheit des Kunstwerkes ist bei der Annäherung an Gott bzw. dem Durchbruch zu Gott aber keineswegs hinderlich, im Gegenteil: indem viele Menschen, von der KünstlerIn bis zu den RezipientInnen im Bild Teile des Gottesbildes erkennen können, ergibt sich in der so entstandenen Auslegungsgemeinschaft, insofern sie das Bild christlich lesen will, eine sowohl individuelle als auch gemeinsame Bildtheologie.

Abschließend seien noch zwei Bemerkungen zum Motiv Jesus Christus gemacht. Rahner kann, wie Vorgrimler aufzeigt, keine Hässlichkeit oder Unvollkommenheit Gottes im Bild zulassen, da das Schöne die Wahrheit ausdrückt. Wechselt man von der ontologischen auf die existenzialistische und phänomenologische Ebene, so gewinnt Schönheit eine neue Bedeutung. Der Gekreuzigte ist ein Skandalon, ein Ärgernis und mit Sicherheit nichts Schönes, außer im verklärten Kitsch. Die Größe der Erlösung wurde in der Kunstgeschichte nicht selten durch einen Jesus dargestellt, der schwach ist oder Aussatz hat, man denke nur an den Grünewald-Altar. Eine Ästhetik der Hässlichkeit scheint also durchaus angemessen, um die wahre Schönheit der Erlösung zu sehen. Dies lässt sich dann auch noch weiter aufbrechen und auf jegliche Form (moderner) Kunst anwenden, die sich selbst als religiös verstehen will, z. B. Yves Kleins Monogold (1961).

Die zweite Frage bezieht sich auf die Notwendigkeit, Gott im Christentum nur über Jesus Christus darzustellen. Die negative Theologie weiß sich seit jeher vom Gedanken des Deus absconditus angezogen. Gerade dieser Versuch Gott darzustellen, ist bei einigen bildtheologischen Arbeiten oder Reihen (z. B. von Hans Dragosits) geradezu programmatisch. Nicht in der Betrachtung Jesu, sondern im Durchbruch zum Mysterium durch die Darstellung des Numinosen liegt ein weiterer Weg zu Gott. Ob dieser sich aber noch strikt von der Kontemplation trennen lässt, wenn doch die Bildbetrachtung einem Ausgreifen in die Leere gleichkommt, wäre ebenfalls zu diskutieren. Darüber hinaus bietet die Bibel als Offenbarungsdokument und der schier unermessliche Schatz an Erfahrungen der Geschichte eine Fülle weiterer Motive, die als Wegweiser zu Gott dienen können.

Also 4. Eine dezidiert christliche Bildtheologie unterscheidet sich, aufgrund der Inkarnation des Logos, grundsätzlich von jüdischer und islamischer Kunst durch die immanente Gestalt des Jesus von Nazareth, in der sich Gott selbst als Motiv offenbart hat. Sie kennt kein striktes Verbot der Gottesdarstellung, sondern sieht sie als eigenen Weg an, wie es auch andere Religionen tun. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Jesus Christus das einzige Motiv ist, das als christlicher Weg zu Gottesbegegnung ins Bild gesetzt werden kann.

Wer mit Karl Rahner nach der Darstellung des biblischen Gottes sucht, kann die Antwort nur im Fragment finden. Am Ende bleiben mehr Fragen zur Materie der Bildtheologie als zu Beginn, die hoffentlich als Anregung zu weiterer Diskussion dienen können, und das Einstimmen in den frommen Wunsch Ijobs: „Doch ich, ich weiß: Mein Erlöser lebt, als Letzter erhebt er sich über dem Staub […] Ihn selber werde ich dann für mich schauen; meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd.“ (Ij 19,25.27)35

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© Foto: Julia Türtscher
Benedikt J. Collinet

Dr. theol. Benedikt Josef Collinet, MA (*1989) studierte in Trier, Wien und Innsbruck Katholische Theologie, Religionswissenschaften und Vergleichende Literaturwissenschaften. Derzeit arbeitet er an seiner Habilitationsschrift im Alten Testament und einem FWF-Projekt zum Thema Karl Rahner and the Bible (Univ. Innsbruck 2019–2023). Sein Interesse an Bildtheologie hängt mit seinem kulturhistorischen Zugang zur Bibel und ihrer Wirkung zusammen.