Vom 1. Dezember 2020 bis zum 6. Juni 2021 präsentiert die Kunsthalle Rostock die vom Künstler Michael Triegel selbst kuratierte Ausstellung Cur Deus – Warum Gott?.
In der Ausstellungsbeschreibung heißt es: „Die Frage, ob es angesichts menschlichen Leids und Unheils einen gerechten und gütigen Gott geben kann, beschäftigte die Theologie und Philosophie immer wieder. Hat sie für den sich aufgeklärt gebenden Menschen des 21. Jahrhunderts überhaupt noch irgendeine Relevanz? Die Frage nach Gott fordert stets auch zur Selbstbefragung des Menschen auf, gibt Auskunft über seine Sehnsüchte, Hoffnungen, Ängste und Zweifel. Das versucht Michael Triegel in seiner Arbeit zu untersuchen.
In der Ausstellung Cur Deus – Warum Gott? werden Bilder der vergangenen Jahre im thematischen Kontext eigens für Rostock geschaffenen Werken gegenübergestellt. So versammeln sich im Schaudepot der Kunsthalle Rostock über 60 Arbeiten des Künstlers – Gemälde, Zeichnungen in Gouache oder Bleistift sowie Radierungen –, die die Auseinandersetzung Triegels mit dem Glauben beleuchten. Triegels Arbeitsweise entsprechend, aus ikonografischen, kunsthistorischen, literarischen und philosophischen Quellen zu schöpfen, sind den Bildern Texte beigestellt; es sind Zitate aus der Bibel, Gedichte von Paul Celan und Johann Wolfgang von Goethe, Versatzstücke aus den Werken Dostojewskis oder aus Marcel Prousts Verlorener Zeit und viele andere Textfragmente, die den Maler beschäftigt haben. Sie erschließen in Gegenüberstellung mit den Werken Triegels nochmals ganz neue Sehweisen und Interpretationsmöglichkeiten.“
Am 19. März 2021 ermöglichte uns die Kunsthalle Rostock einen gemeinsamen Ausstellungsbesuch und bildtheologischen Austausch mit Michael Triegel. Vor Ort waren für den Verein Ludger Hiepel und Linda Michalke. Nach einem intensiven und spannenden Vorgespräch mit dem Maler wurde der gemeinsame Ausstellungsbesuch via Zoom-Konferenz an interessierte Vereinsmitglieder sowie Studierende und Lehrende aus den Bereichen (Bild-)Theologie, Philosophie und Kunst(-Geschichte) übertragen.
Zunächst führte Michael Triegel inhaltlich ein, indem er die Idee zur Ausstellung und den Prozess des Kuratierens beschrieb. Beginnend mit dem ersten Bereich Alles Leben ist wesentlich Leiden (Schopenhauer) unterhielten sich der Künstler und Ludger Hiepel über das Werk Adam und Eva im Paradies. Triegel betonte, dass seine Bilder vor allem eine Art Gesprächsangebot sind, immer wissend darum, dass seine Werke sehr subjektiv sind und sich mit persönlichen Zweifeln, Sehnsüchten und Fragen auseinandersetzen. Der sehr trostlose und wenig paradiesisch wirkende Garten Eden ist von einer Mauer umgeben. Zu sehen sind ein vertrockneter Baum, Adam und Eva sowie ein noch nicht angebissener Apfel. Nach Triegel können die Elemente im Bild, der Blick Evas, eine Sehnsucht nach einem Leben und einer Erkenntnis außerhalb des bekannten Paradieses widerspiegeln.
Ludger Hiepel griff daraufhin den soteriologischen Zusammenhang zwischen Eva und Maria auf und leitete zur Lithografie Ave Maria über. Verkündigung und Erlösung, Leben und Tod sind Stichworte, welche wir ebenso mit dem Werk Menschwerdung (Hochaltarbild für St. Oswald zu Baunach) in Verbindung bringen konnten. Die Architektur, das von einem Schädelkranz umgebene Embryo, ein wie bei Zurbarán an drei Punkten aufgehängtes (Schweiß-)Tuch (vera icon) deuten auf Passion und Auferstehung hin.
Am Werk Hiob ließen sich Fragen nach Leid und Wunde erörtern. Die Betrachtenden sehen einen nackten, äußerlich unversehrten Körper, nicht viel erinnert an den Hiob des Alten Testaments. Doch möglicherweise äußern sich Schmerz, Verwundbarkeit und Leid weniger am äußerlich Sichtbaren, sondern vielmehr im Inneren der dargestellten Person. Nicht zu vernachlässigen ist die künstlerisch-malerische Dimension in den Werken Triegels. Es geht nicht nur um die persönliche Auseinandersetzung mit Leid und Schmerz, sondern auch um den malerischen Nachvollzug kunstgeschichtlicher Rollenbilder im Sinne archetypischer Verlebendigungen.
Linda Michalke beschrieb und interpretierte das Gemälde Am Kreuz (große Version). Den horizontal schwebenden Körper des vom Kreuz abgenommenen Christus durchziehe eine eigentümliche Spannung. Vom Oberkörper bis in die Fußspitzen sind alle Muskeln angespannt. Die Füße scheinen gerade vom Boden abzuheben. Der rechte Arm des Dargestellten hängt hingegen leblos herab und berührt den Untergrund. Auch an den Haaren des Gekreuzigten zeigt sich, dass die Schwerkraft noch nicht vollends überwunden ist. Weitere Elemente im Bild verdeutlichen die Spannung zwischen Irdischem und Himmlischem, zwischen Schwere und Herrlichkeit, zwischen Anziehungskraft und Schwerelosigkeit, zwischen Anspannung und Enstpannung. Michael Triegel ergänzt, dass sich in seinem Gemälde gewissermaßen die Unentschiedenheit nach dem Karfreitagsgeschehen zwischen Tod und Auferstehung zeigt. Noch liegt alles in der Schwebe. Verdeutlicht wird dieser Zustand durch ein häufig vom Künstler verwendetes Stilmittel, das Paradoxon: Der Tote ist das einzig Lebendige im Bild.
Am großformatigen Werk Deus absconditus beschrieb der Maler den Prozess der Entstehung seiner Bilder. Michael Triegel lässt sich von visuellen Vorstellungen und Traumbildern leiten und entwickelt meist erst während des Malprozesses eine konkrete Bildidee. Deus absconditus entstand aus dem Wunsch, das bereits erwähnte, von Zurbarán gemalte Tuch zu zitieren. Das Verbergen durch das Tuch wurde schließlich zum Inhalt des Bildes. Neben zahlreichen Bildgegenständen, welche die Leere, das große schwarze Nichts im Hintergrund zu füllen versuchen, werden Wunde und Menschsein nahezu vollständig von einer „theologischen Spitzfindigkeit“ verdeckt. Der Komplex der Wunde hat für Triegel eine tiefe persönliche Dimension. Mit Hilfe der Malerei versucht er Wunde und Verwundbarkeit sichtbar zu machen, ohne alle Fragen beantworten zu können, ohne das Geheimnis des Glaubens entschlüsseln zu können oder zu wollen.
Unter dem Leitwort Gottes Sehnsucht ist der Mensch (von Hippo) betrachteten wir abschließend gemeinsam das Selbstporträt Triegels von 2020. Zugrunde liegen zahlreiche Bildzitate und Topoi, mit denen sich der Maler auseinandersetzte. Erwähnt seien das Selbstbildnis im Pelzrock Albrecht Dürers, das Erlangener Selbstbildnis Grünewalds, Johannes auf Patmos von Burgkmair d. Ä. oder das eigene Selbstporträt in der Figur des Hiob im Werk Hiob.
Bildtheologisch konnten wir feststellen, dass sich Triegel in der Form der Alten Meister, mit Hilfe des christlichen Deutungshorizontes mit aktuellen Fragen des Glaubens und den zentralen Grundfragen des Lebens und des Todes auseinandersetzt. Er sucht, zweifelt, fragt und stellt infrage. In dieser Hinsicht konnten wir uns als Betrachtende seiner Kunst als einer Quelle theologischer Erkenntnis widmen und durften erfahren, dass auch Michael Triegel durch die persönlich-malerische Auseinandersetzung mit archetypischen Fragen, Themen und Figuren versucht, sich einem theologischen Erkenntnisprozess anzunähern.
Text: Linda Michalke