Kiki Smith thematisiert in ihrem Werk die Bedingungen des Menschseins: Natur und Kultur, Intellekt und Körper, Schönheit und Vergänglichkeit. Sie zeigt die Fragilität des Körpers und das Verhältnis des Individuums zum Tier und zur Umwelt. Procession im Unteren Belvedere fügt rund neunzig ihrer Arbeiten zu einem spirituellen, geistigen und mythischen Kosmos zusammen. Damit wird ein Einblick in ihr künstlerisches Schaffen von den frühen 1980er Jahren bis heute geboten.
Stella Rollig, Generaldirektorin des Belvedere: „Schönheit und Sterblichkeit als Pole menschlicher Gefühlserfahrungen vermittelt Kiki Smith auf unvergleichliche Weise. Angesichts ihrer Werke gibt es kein Entkommen vor existenziellen Fragen. In den Räumen des Unteren Belvedere finden Anmut und Tiefgründigkeit der Kunst von Kiki Smith einen angemessen grandiosen Rahmen.“
Procession setzt einen Schwerpunkt auf Skulpturen, überdies werden Arbeiten auf Papier und Tapisserien gezeigt. Figuren und Erzählungen präsentieren sich wie in einem feierlichen Umzug. Diese Präsentation unterstreicht die Macht der Bilder und ihre charismatischen Eigenschaften. Die radikalen Bilderfindungen und die Vielfalt der eingesetzten Materialien machen das Œuvre von Kiki Smith einzigartig und prägend für eine jüngere Künstlergeneration. Ihr Werk behandelt die großen Themen des Daseins:
„Wem gehört die Kontrolle über den Körper? Wie ist das Humane zu denken in seinem Verhältnis zum anderen Wesen? Was bedeutet der Verlust des Habitats von Tieren und Pflanzen? Was bedeutet unsere Existenz? Kiki Smiths Werk als ein Ganzes ist Antwort auf das In-der-Welt-Sein.“, sagt Petra Giloy-Hirtz, Kuratorin der Ausstellung.
Die Ausstellung, die zuvor am Haus der Kunst in München und im Sara Hildén Museum in Tampere zu sehen war, ist die bislang größte Überblicksschau zum Werk von Kiki Smith in Europa. Der Titel Procession leitet sich vom lateinischen „procedere“ ab – sich vorwärtsbewegen, handeln, Fortschritte machen. Am Beginn der Schau stehen Kiki Smiths frühe Arbeiten. Sie entstanden unter dem Eindruck eines brisanten Wandels der politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen – geprägt durch AIDS, dem Diskurs über sexuelle Identität und soziales Geschlecht sowie feministischen Aktivismus. Ohne Scheu vor Tabus, Peinlichkeiten und Grenzen der Scham stellen ihre Untersuchungen des (vornehmlich weiblichen) Körpers die condition humana, die Bedingung des Menschseins zur Schau. Ihre Objekte und Zeichnungen zeigen Körperglieder wie Fuß, Arm, Ohr, Zunge und Organe wie Magen und Gedärme oder beinhalten in sorgfältig beschrifteten Gefäßen vermeintliche Körperflüssigkeiten wie Urin, Samen, Speichel, Blut, Schweiß oder Tränen. Das Innere des Körpers ist nach außen gekehrt. Lebensgroße Figuren aus Bienenwachs (Virgin Mary, 1992) oder aus Papier und Rosshaar, wie die an der Wand hängende menschliche Gestalt (Untitled, 1995) zeigen den menschlichen Körper nackt und schutzlos. Kiki Smith unterläuft so die herkömmlichen Vorstellungen von Weiblichkeit: die Frau erscheint weder als begehrenswertes Objekt noch als idealisiertes Idol.
Seit Anfang der 1990er Jahre schöpft Kiki Smith ihre Themen aus Geschichten, Mythen, Legenden und Märchen sowie aus religiösen Vorstellungen. Das Subjekt, seine Körperlichkeit und seine sozialen Erfahrungen bettet sie nun in einen größeren Kontext ein: Kiki Smith thematisiert das Verhältnis des/der Einzelnen zur Natur und zur Umwelt. In prachtvollen Tapisserien und Skulpturen erschafft sie einen Kosmos, der die enge Verbundenheit zwischen Mensch und Tier widerspiegelt. Die gefährdete Schöpfung thematisiert Kiki Smith in ihren Arbeiten von toten Tieren, insbesondere Vögeln, und aussterbenden Arten. Schwarz und leblos auf dem Boden verstreut, sind ihre Krähen, Untitled (Crows) (1995/2016), Zeugnis eines ökologischen Desasters.
Wie in einer Wunderkammer versammelt der letzte Raum kleine Skulpturen aus allen Schaffensphasen. Alltägliches und Magisches, Profanes und Sakrales, Menschliches und Animalisches gehen dabei eine wundersame Beziehung ein und zeigen Kiki Smith als Verzauberin einer entzauberten Welt.
Im Eingangsbereich der Sala terrena des Oberen Belvedere ist die Skulptur Sun, Moon, Stars and Clouds zu sehen, als Verweis auf die Ausstellung im Unteren Belvedere.
Die US-amerikanische Künstlerin Kiki Smith, eine der führenden Vertreterinnen der Gegenwartskunst, wurde 1954 in Nürnberg geboren; sie lebt in New York City und Upstate New York. Ihre Werke verhandeln Fragen zu Alter und Tod, Verwundung und Heilung, Geburt, Sexualität, Geschlecht, Gender und Erinnerung. In einer Fülle verschiedenster Materialien – wie Bronze, Gips, Glas, Porzellan, Papier, Pigment, Aluminium, Silber, Bienenwachs oder Stoff – und Techniken schafft Kiki Smith vor allem Skulpturen, aber auch Zeichnungen, Radierungen und Lithografien, sowie Künstlerbücher, Fotografien und Videos.
Ausstellungskatalog
Kiki Smith. Procession
HerausgeberInnen: Stella Rollig, Petra Giloy-Hirtz Autor_innen: Okwui Enwezor, Petra Giloy-Hirtz, Virginia Raguin, Stella Rollig, Kiki Smith, Ulrich Wilmes, Julia BryanWilson
Grafikdesign: Lea Stepken
New York, Prestel Verlag
224 Seiten, 160 Abbildungen, Format: 21,7 × 27 cm, Hardcover
ISBN 978-3-7913-5885-7, deutsche Neuauflage
ISBN 978-3-7913-5626-6, englische Auflage
Verkaufspreis: 50,40 €
Anfahrt
Unteres Belvedere
Rennweg 6
1030 Wien
Öffnungszeiten
Täglich: 10-18 Uhr
Fr.: 10-21 Uhr
Eintrittspreise
14 €