Das Dom Museum Wien widmet dem Thema Familie eine umfangreiche Ausstellung: Die epochenübergreifende Schau „Family Matters“ geht der Frage nach, wie sich unterschiedliche Familienkonstellationen, ihre Bedingungen und Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft in der Kunst spiegeln.
Ausgehend von dem Wandel, den der Begriff Familie durchlebt, werden unterschiedliche Familienmodelle in den Blick gerückt: Von der Ein-Eltern-Familie über Sippenverbände bis zu „gewählten“ Familien zeigt sich durch die Epochen und in unterschiedlichsten Medien – Plastik, Grafik, Malerei, Fotografie und Videokunst – ein vielschichtiges Bild von dem, was Familie sein kann.
Der zweideutige englischsprachige Ausstellungstitel spielt an auf das, was in der Familie geschieht, berührt, prägt, aufwühlt. „Family Matters“ verweist aber auch darauf, dass die Ausstellung sich keineswegs auf das von Porträts im Wandel der Jahrhunderte vermittelte Erscheinungsbild von Familien beschränkt: Die Schau beleuchtet anhand von Exponaten unterschiedlicher Epochen vielmehr die inneren Verhältnisse des Mikrokosmos Familie. Sie wirft zentrale Fragen im Zusammenhang mit der Sozialform Familie auf und veranschaulicht, wie sehr Familienangelegenheiten mit übergreifenden künstlerischen, politischen, religiösen, sozialen, juristischen und psychologischen Aspekten verknüpft sind.
Beobachtet man die aktuelle Medienlandschaft, politische und wissenschaftliche Diskurse sowie filmische und literarische Neuerscheinungen, fällt auf, welch zentrale Rolle Familienangelegenheiten auch heute spielen. Die Familie scheint eine dauerhafte soziale Form zu sein, die je nach kulturellem, historischem oder gesellschaftspolitischem Kontext unterschiedliche Erscheinungsformen hat. Familie kann alles sein: ein Ort der Liebe, der Geborgenheit und der Solidarität. Genauso ein Ort der Gewalt, der Machtausübung und des Missbrauchs. Familie kann Wunschtraum und Alptraum zugleich sein. Seit über 2000 Jahren liefern Familien Stoff für Tragödien wie Komödien gleichermaßen, wie ein Blick in die Kunstgeschichte verdeutlicht.
Mit Arbeiten und Werken von Uli Aigner, Iris Andraschek, Hans Op de Beeck, Werner Berg, Elinor Carucci, Gonzales Coques, Josef Franz Danhauser, Carola Dertnig, Johannes Deutsch, Christian Eisenberger, VALIE EXPORT, Peter Fendi, Weronika Gęsicka, Leander Kaiser, Anton Grassi / Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Sam Jinks, Angelika Kauffmann, Käthe Kollwitz, NINA Kovacheva, Maria Lassnig, Iris Legendre, Ferdinand Mallitsch, Diodato Massimo, Katharina Mayer, Ron Mueck, Johann Nepomuk Passini, Giovanni Battista Pittoni, Johann Matthias Ranftl, Neo Rauch, Judith Samen, August Sander, Johann Martin („Kremser“) Schmidt, Schottenmeister, Annegret Soltau, Carl Spitzweg, Leopold Stöber, Domenico Robusti, gen. Tintoretto, Dirk Vellert, Ferdinand Georg Waldmüller
Wie in den beiden vorhergehenden Themenausstellungen im neuen Dom Museum Wien erzählt diese Schau keine chronologische Geschichte. Vielmehr werden durch häufig auch kontrastreiche Gegenüberstellungen zwischen Werken unterschiedlichster Kunstepochen Fragen aufgeworfen, die Besucher_innen einerseits dazu einladen, darüber nachzudenken, was Familie als Schauplatz der verschiedensten Emotionen sein kann, was Familie für sie persönlich bedeutet. Andererseits fordern sowohl die einzelnen Exponate als auch die räumliche Gestaltung zu einem Nachdenken darüber auf, wie sehr Familienbilder mit historischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen verknüpft sind und sich immer wieder verändern. Kontinuitäten und Brüche werden sichtbar.
Die Ausstellung konzentriert sich – ausgehend von den vorrangig sakralen Beständen des Museums – geografisch weitgehend auf den europäischen Raum und die westliche Bildtradition. Sie zeigt sowohl Werke aus den historischen Beständen des Dom Museum Wien als auch aus der Sammlung Otto Mauer Contemporary, umfasst aber auch hochkarätige Leihgaben aus nationalen und internationalen Sammlungen, Museen, Stiften und Galerien. „Family Matters“ bezieht Arbeiten zahlreicher Gegenwartskünstlerinnen mit zum Teil eigens für die Schau entstandenen oder neu für die Sammlung erworbenen Werken in die Ausstellung ein.
Das Bildmotiv für Plakat, Katalog und Drucksorten ist die Fotoarbeit Untitled #41 der polnischen Künstlerin Weronika Gęsicka aus der Serie „Traces“ (2015-2017). Die Köpfe der Kleinfamilie vor dem Eingang eines Einfamilienhauses, sind in ihrer Kleidung verschwunden. In dieser Serie hat Gęsicka Familienidyllen der 1950er- und 1960er-Jahre digital modifiziert. Die versteckten Gesichter des Key Visuals sind für alle möglichen Varianten von Familienmodellen offen: die Arbeit steht metaphorisch für das Prinzip der Ausstellung, reflektiert sie doch, wie sich durch feine Verschiebungen neue Blicke auf tradierte Bilder und Vorstellungen ergeben.
Gesellschaft und Wandel
Besucher_innen werden im ersten Ausstellungsbereich mit Familienbildnissen unterschiedlichster Zeiten konfrontiert. Sie vermitteln einen Eindruck von den unterschiedlichen Funktionen, die Familienbildnissen im Lauf der Geschichte zukamen, zeigen aber auch auf, wie gewisse stereotype Darstellungsarten über Jahrhunderte hin tradiert wurden. Hier werden sogenannte „Heilige Sippen“, Flämische Porträtisten und Historienmaler des 17. Jahrhunderts zwölf großformatigen Fotografien der Künstlerin Katharina Mayer buchstäblich und bildlich gegenübergestellt. Wir treffen auf eine traditionelle Kleinfamilie, eine Patchwork- und eine Regenbogenfamilie, auf eine Adoptivfamilie, eine alleinerziehende Mutter, einen mit seiner Mutter zusammenlebenden erwachsenen Mann und auf ein Ehepaar ohne Kinder, dafür aber mit Plüschtieren.
Beziehungen und Emotionen
Häufig sind es Zweierbeziehungen, die auf die stärksten gefühlsmäßigen Verflechtungen verweisen: die Mutter mit dem Sohn, der Vater mit seiner Tochter, Großeltern mit Enkelkindern, Geschwister. Auf sich selbst zurückgeworfen, ohne die Ablenkung durch den Kontext der Gruppe, rückt ihre persönliche Bindung ins Zentrum. Hier zeigt man Werke, die ‒ wie Fotografien der New Yorker Künstlerin Elinor Carucci, ein Ölgemälde von Diodato Massimo (Josef und Kind, 1886) ‒ eine ungemeine Zärtlichkeit zwischen Mutter bzw. Vater und Kind zum Ausdruck bringen. Hier begegnen wir aber auch Arbeiten, die Gewalt in der Familie thematisieren wie Maria Lassnigs „Obsorge“ (2008) oder NINA Kovachevas Zeichnung „Wraith“ (2018), die einen sein verängstigtes Kind anbrüllenden Vater darstellt. Dass Gefühle auf dem Terrain der Familie häufig ambivalent sind, spiegeln eine Reihe von Arbeiten wider, so etwa Annegret Soltaus Fotovernähungen der „Mutter-Glück“-Serie (1989/1990), die in einer singulären Formensprache die Sehnsucht nach Symbiose innerhalb der Familie, aber auch die Notwendigkeit von Abgrenzung verbildlichen.
Privater und öffentlicher Raum
Dass Familienleben im privaten und öffentlichen Raum stattfindet, wird im vorletzten Bereich der Ausstellung greifbar. Hier kommen die Widrigkeiten des Alltags zur Sprache, vor allem wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Der Schwerpunkt liegt hier neben der Präsentation von Biedermeierarbeiten, die den Familienalltag idealisieren, auf Werken zeitgenössischer Künstlerinnen, die sich mit genderspezifischen Asymmetrien der Geschlechterrollen befassen wie Carola Dertnig in Stroller II (2008) oder Judith Samen in ihrer Darstellung einer brotschneidenden Mutter mit Kind (1997).
Erinnerungen und Träume
Der Rundgang durch die Schau schließt mit einem Bereich, in dem Künstlerinnen und Künstler auf traumhaft-surreale Weise ihre Kindheit verarbeiten wie Neo Rauch den Tod seines tragisch verunglückten Vaters (2007). Andere Exponate wie jene Weronika Gęsickas entwerfen fantastische Bildwelten, die durch ihren traumhaften Charakter Familie neu und anders denken lassen. In einer für das zeichnerische Werk von Uli Aigner typischen Farbstiftzeichnung (2013) eröffnet die Künstlerin einen neuen Blickwinkel auf Familienverhältnisse und deren Herausforderungen in der heutigen Zeit.
Mit Leihgaben von Belvedere, Wien; Erzherzog Franz Ferdinand-Museum, Schloss Artstetten/NÖ; Galerie Bernd A. Lausberg, Düsseldorf; GALLERY FIFTY ONE, Antwerpen; Galerie Krinzinger, Wien; Galerie JEDNOSTKA, Warschau; Kirche am Hof, Wien; Künstlerischer Nachlass Werner Berg; Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie; LENTOS Kunstmuseum Linz; LIECHTENSTEIN. The princely Collection, Vaduz – Vienna; MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst, Wien; Maria Lassnig Stiftung; Pfarre Schwarzau am Steinfeld, Niederösterreich; Pfarre St. Leopold, Wien; Pfarre Thernberg, Niederösterreich; Pfarre Weinhaus, Wien; Katharina Mayer; Ron Mueck; Museum im Schottenstift, Wien; Salzburg Museum; Judith Samen; Sammlung Ruth; Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin; David Zwirner, New York/London/Hong Kong; sixpackfilm, Wien; Annegret Soltau; Spreegold Collection Berlin; Stift Kremsmünster, Kunstsammlungen; Sebastian C. Strenger; Sullivan+Strumpf, Sydney I Singapore; Wien Museum; Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz, Kunstsammlung
Objekte der Schausammlung
Angesichts der Relevanz des Themas Familie in der christlichen Kunst sowie in profanen modernen Werken verwundert es nicht, dass das Dom Museum Wien über Sammlungen verfügt, die reich an Exponaten sind, welche direkt oder indirekt mit der Familie zu tun haben. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden in vielgestaltiger Weise durch die Schausammlung, wo Werke wie etwa die berühmte Schreinmadonna aus dem 15. Jh., ein Bildnis der Maria Lactans aus der Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren (1537), oder das Reliquiar des heiligen Leopold (1588) das Stammbaumartig die Heiligen zeigt, die das Haus Habsburg für sich beansprucht hat.
Öffnungszeiten
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Mo. und Di.: geschlossen