Der renommierte Leipziger Künstler Michael Triegel (* 1968) formuliert im Rückgriff auf die Kunst vergangener Epochen Bilder von hoher Aktualität. Die Werke des Barockkomponisten Johann Sebastian Bach sind höchst gegenwärtig und ziehen Menschen weltweit in ihren Bann. Ausgewählte Werke des Leipziger Malers Michael Triegel (geb. 1968) treten in einen Dialog mit Kompositionen Johann Sebastian Bachs (1685-1750). Sowohl der Gegenwartskünstler als auch der Barockkomponist interpretieren in ihren spezifischen Medien grundlegende Themen menschlichen Seins wie Glaube und Zweifel, Leben und Tod, Schönheit und Vergänglichkeit.
In der Kabinettausstellung treten von christlicher Ikonographie inspirierte Gemälde, Skizzen, Zeichnungen und Druckgraphiken Triegels in einen Dialog mit geistlichen Werken Bachs. Die Zusammenführung der beiden künstlerischen Positionen, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verquicken, bietet BesucherInnen neben dem ästhetischen Genuss vielfältige Anknüpfungspunkte zur Reflexion der eigenen Anschauungen und Werte. Neben das Hören der Musik und das Betrachten der Bilder stellt die Ausstellung eine Objektebene, die die Musik Bachs historisch einordnet und Einblicke in seine Textgrundlagen und Kompositionsprinzipien gewährt.
Marienfenster und Marienfeste
2014 erhielt Michael Triegel den Auftrag, zwei Glasfenster für die Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Köthen zu entwerfen. Der Architekt der Kirche, Gottfried Bandhauer (1790-1837), ist Bach-Freunden für ein anderes Werk bekannt: 1823 gestaltete er den Spiegelsaal im Köthener Schloss klassizistisch um. Hundert Jahre zuvor hatte Bach dort als Hofkapellmeister zahlreiche Werke aufgeführt.
Während am reformierten Köthener Hof keine konzertante Kirchenmusik aufgeführt wurde, erklang im lutherischen Leipzig jede Woche eine Kantate. Auch Marienfeste wurden hier gefeiert. Bach komponierte Kantaten für die Feste Mariä Reinigung (2. Februar), Mariä Verkündigung (25. März) und Mariä Heimsuchung (2. Juli).
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: Kantate BWV 1 »Wie schön leuchtet der Morgenstern«
Interpreten: Thomanerchor Leipzig, Neues Bachisches Collegium Musicum & Hans-Joachim Rotzsch
BACH & TRIEGEL
Michael Triegel erschafft im Rückgriff auf die Kunst der Renaissance und des Barock Bilder von hoher Aktualität. Er malt im altmeisterlichen Stil und bedient sich aus dem reichen Schatz der christlichen und mythologischen Ikonographie. Bekannte Bildmotive löst er durch überraschende Kombinationen, Fehlstellen und Details aus dem gewohnten Kontext und fügt sie zu ganz eigenen Bildschöpfungen zusammen. Kunsthistorisch und philosophisch beschlagene BetrachterInnen mögen angespornt sein, Zitate aufzuspüren und ikonographische Bezüge zu entschlüsseln. Die Bilder laden aber ebenso zu individuellen Lesarten und freiem Assoziieren ein.
Johann Sebastian Bach führte Kompositionstechniken, Musikstile und -gattungen der Gegenwart und Vergangenheit zu beispielloser Meisterschaft. Er setzte sich intensiv mit Musiktheorie, Bibel und anderen Textgrundlagen seiner Werke auseinander. Für den lutherischen Christen Bach war die Musik von Gott angeordneter Bestandteil des Gottesdienstes. Indem er bekannte Choräle und Melodien in seine Kirchenmusik einarbeitete, bot er den Gläubigen wichtige Ankerpunkte. Doch auch ganz ohne Kenntnis musikhistorischer oder religiöser Bezüge entfaltet seine Musik ihre Wirkung. Obwohl der Komponist tief in seiner Zeit verwurzelt war, hat sein Werk überzeitliche Gültigkeit erlangt.
Michael Triegel SELBSTPORTRAIT
Das Porträt im Alter von 47 Jahren („anno aetatis suae XLVII“) erinnert an das berühmte Selbstbildnis Albrecht Dürers von 1500. Die frontale Darstellung war Königen und Christus vorbehalten. Für Dürer war die Kunst Teil der schöpferischen Kraft Gottes. Triegel streut mit der Fliege auf seiner Hand einen Zweifel in das selbstbewusste Porträt: „Herr der Fliegen“, übersetzt Beelzebub, ist eine geläufige Bezeichnung für den Teufel.
B – A – C – H
Bach wob in die berühmte Fuge, die nur als Fragment überliefert ist, seine Signatur ein: die Tonfolge B-A-C-H. Das Motiv aus Halbtonschritten erlaubte es ihm, die Möglichkeiten chromatischer Harmonik auf thematischer Ebene auszutesten. Die weit verbreitete Legende, Bach habe das Stück auf dem Totenbett nicht mehr vollenden können, gilt in der Forschung inzwischen als überholt.
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: Kunst der Fuge BWV 1080 – Fuge a 3 Soggetti
Piano: Zoltán Kocsis
GOTT UND DER MENSCH
Michael Triegel DEUS ABSCONDITUS
Die Vorstellung des verborgenen, nicht erkennbaren Gottes geht auf das Buch Jesaja (Kap. 45, 15) im Alten Testament zurück: »Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland«. Luther setzte dem fernen und fremden »Deus absconditus« den nahen, durch Christus offenbarten »Deus revelatus« entgegen.
Johann Sebastian Bach AUS TIEFER NOT SCHREI ICH ZU DIR BWV 38
Kantate zum 21. Sonntag nach Trinitatis, Erstaufführung: 29. Oktober 1724
Choral (Text und Melodie): Martin Luther, 1524
Die Kantate beruht auf Luthers Bußlied nach dem 130. Psalm. Die mittelalterliche Kirchentonart Phrygisch verleiht ihm einen herben Charakter. In den frei gedichteten Binnenstrophen der Kantate ist Luthers Dichtung mit dem Inhalt des Evangeliums zu diesem Sonntag verquickt: dem Bericht einer Wunderheilung durch Jesus. Bachs nur vom Generalbass begleitetes Terzett »Wenn meine Trübsal als mit Ketten« für Sopran, Alt und Bass bringt den Trost des aus tiefer Not geretteten Menschen zum Ausdruck.
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach, Kantate BWV 38 »Aus tiefer Not schrei ich zu dir«
Interpreten: Dorothee Mields (Sopran), Pascal Bertin (Alt), Gerd Türk (Tenor), Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki (Leitung)
LEBEN UND TOD
Michael Triegel AVE MARIA
»Ave Maria« begrüßte der Engel Gabriel die Jungfrau Maria, als er ihr die Geburt Christi ankündigte.
»Die große catholische Messe«
Carl Philipp Emanuel Bach, Nachlassverzeichnis
Bachs h-Moll-Messe ist sein anspruchsvollstes und vielgestaltigstes Werk. In seinen letzten Lebensjahren schuf er aus bereits vorhandenen Mess-Sätzen, Neukompositionen und überarbeiteten Vorlagen eine vollständige lateinische Messe. Meisterhaft fügte er Kompositionen aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten zu einem großen Ganzen zusammen.
Im »Credo« treffen die jüngste und die älteste Komposition unmittelbar aufeinander: »Et incarnatus est« ist Bachs vermutlich letzte Chorkompositionen aus dem Jahr 1749. Das anschließende »Crucifixus« geht auf die älteste Komposition der gesamten Messe zurück: den Chor der Osterkantate »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen« von 1714.
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: Messe in h-Moll BWV 232, Crucifixus
Interpreten: La Capella Reial de Catalunya unter der Leitung von Jordi Savall
VITA CHRISTI
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: Johannespassion BWV 245, Pt 2: Arioso »Betrachte, meine Seel‘, mit ängstlichem Vergnügen«
Interpreten: Ton Koopmann with the Amsterdam Baroque Orchestra Bass, Vocals: Klaus Mertens
MUSIKLOSE ZEITEN IN LEIPZIG
Die Advents- und Passionszeit sind in der evangelischen Kirche Zeiten der Stille und Besinnung. Sie dienen den Gläubigen zur Vorbereitung auf die beiden wichtigsten Kirchenfeste Weihnachten und Ostern. Zur Zeit Bachs waren es musiklose Zeiten. Vom 2. bis 4. Advent und an den sechs Sonntagen der Passionszeit (Invocavit bis Palmsonntag) wurden in den Leipziger Kirchen keine Kantaten aufgeführt. Bach boten diese musiklosen Wochen Gelegenheit, seine großen Passionen und Oratorien vorzubereiten.
Johann Sebastian Bach MATTHÄUSPASSION
Bach führte die Matthäus-Passion mehrmals in Leipzig auf. Ihren weltweiten Siegeszug trat sie nach der Aufführung von Felix Mendelssohn Bartholdy in Berlin 1829 an. Doch schon 60 Jahre zuvor wurde zumindest der Schlusschor in Berlin aufgeführt, wie diese vor kurzem entdeckten Chorstimmen belegen – vermutlich im Rahmen eines privaten Konzertes der „Musikübenden Gesellschaft“.
Um die Passionsgeschichte angemessen darzustellen, ließ Bach die Musik kreuz und quer durch die Tonarten wandern und erschuf außergewöhnliche musikalische Klangfarben.
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: Schlusschor aus der Matthäus-Passion BWV 244 »Wir setzen uns mit Tränen nieder«
Interpreten: Nederlandse Bachvereniging
VERWANDLUNGEN
Michael Triegel PERSEPHONE IM HADES
Nach der griechischen Mythologie entführte Hades, der Gott der Unterwelt, die Tochter des Zeus und der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter. Als ihre Mutter alle Pflanzen auf der Erde verdorren ließ, befahl Zeus, Persephone freizugeben. Doch weil diese in der Unterwelt Granatäpfelkerne gegessen hatte, war ihr die vollständige Rückkehr verwehrt. Jedes Jahr musste sie einige Monate im Hades verbringen. In dieser Zeit war die Erde unfruchtbar – es war Winter.
Johann Sebastian Bachs Sechs Sonaten für Violine und Cembalo BWV 1014-1019 sind die ersten Violinsonaten der Musikgeschichte, in denen das Cembalo der Violine gleichberechtigt gegenübersteht. Die Sonate in f-Moll ist tief melancholisch. Sie beginnt mit einem Lamento in der Art einer betörend schönen Bach-Arie.
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: Sonate für Violine und Cembalo in f-Moll BWV 1018
Interpreten: Rachel Podger, Trevor Pinnock
Michael Triegel HARMONIA MUNDI
2009 beauftragte das Bistum Würzburg Triegel mit einem Deckengemälde für den Vorraum des Probesaals der Dommusik Würzburg. In seinem Bildprogramm reagierte er auf Bauuntersuchungen, nach denen der Saal in streng harmonischen Proportionen mit gleichseitigen Dreiecken errichtet worden war.
Die Illustration des einsaitigen Monochords in der Bildmitte entstammt der Schrift „utriusque cosmi“ des englischen Philosophen Robert Fludd (1574-1637). Mit Begriffen aus der Musik wird die antike Vorstellung der Weltharmonie veranschaulicht. Um die Darstellung gruppieren sich antike Götter mit verschiedenen Musikinstrumenten.
Johann Sebastian Bach DIE KUNST DER FUGE
In den 1740er Jahren schuf Bach ein einzigartiges Lehrbuch: »Die Kunst der Fuge« – einen Zyklus von 14 Fugen und 4 Kanons. Mit äußerster Sorgfalt und großem Weitblick konstruierte er dafür ein musikalisches Thema, das es ihm ermöglichte, sämtliche Varianten des instrumentalen Kontrapunkts vorzuführen.
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: Die Kunst der Fuge BWV 1080: Contrapunctus. Spiegelfuge über Varianten des Themas
Interpreten: Akademie für alte Musik Berlin unter der Leitung von Bernhard Forck
ENGEL UND MENSCHEN
AUS DEM WEIHNACHTSORATORIUM
Er ist auf Erden kommen arm,
Dass er unser sich erbarm,
Und in dem Himmel mache reich,
Und seinen lieben Engeln gleich.
Kyrieleis!
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium, BWV 248: Part I – »Er ist auf Erden kommen arm«
Interpreten: Gewandhausorchester und Thomanerchor unter der Leitung von Kurt Thomas
Solisten: Agnes Giebel, Marga Höffgen, Josef Traxel, Dietrich Fischer-Dieskau
LANDSCHAFTEN
GUTE NACHT, O WESEN
Johann Sebastian Bach, Motette: Jesu, meine Freude BWV 227
Gute Nacht, o Wesen,
Das die Welt erlesen,
Mit gefällst du nicht.
Gute Nacht, ihr Sünden,
Bleibet weit dahinten,
Kommt nicht mehr ans Licht!
Gute Nacht, du Stolz und Pracht!
Dir sei ganz, du Lasterleben,
Gute Nacht gegeben.
Hörbeispiel:
Johann Sebastian Bach: »Gute Nacht, O Wesen« aus der Motette »Jesu, meine Freude« BWV 227
Interpreten: Monteverdi Choir unter der Leitung von John Eliot Gardiner
Öffnungszeiten
Di.–So. und an Feiertagen: 10–18 Uhr
Eintritt
Erwachsene: 10 €
Ermäßigt: 8 €
Bis 16 Jahre: Eintritt frei
Gruppen (ab 10 Personen): 9 € pro Person