Die Ausstellung Anselm Kiefer. Opus Magnum präsentiert 23 Vitrinen und sechs Photographien, aus den Jahren 2014 – 2016, die vom Künstler unter diesem Titel zusammengefasst wurden.
Seit 2018 kann das Franz Marc Museum über Werke Anselm Kiefers als Dauerleihgaben aus der Sammlung Grothe verfügen. Dazu gehören der Werkkomplex Opus Magnum und ein großes Gemälde, Under der Linden an der Heiden, die in der Ausstellung im Franz Marc Museum gezeigt werden.
Mit Georg Baselitz und Gerhard Richter gehört Anselm Kiefer zu den deutschen Künstlern, die während, oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland geboren, sich einem allgemeinen „traumatischen“ Schweigen über den Nationalsozialismus entgegenstellten: “Ich lebte unter Leuten, die alle dabei waren und nicht darüber reden wollten. Diese Zeit war ein leerer Raum.“, so Anselm Kiefer. Die Nichtanerkennung der Rede von der „Stunde Null“ ist Ausgangspunkt für Kiefers Werk, das sich in der Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Vergangenheit und der Shoa tief in die deutsche Romantik und die germanische Mythologie versenkt. Seit den 1980er Jahren weitet sich Kiefers Perspektive verbunden mit der „Sehnsucht nach vorwissenschaftlichen Zeiten und Kulturen, als der Mensch noch über eine kosmische Erfahrung verfügte, welche durch die Moderne unwiderruflich verloren gegangen ist.“ In seinem Werk begegnen sich die jüdische Kabbala, die griechischen Gottheiten, die biblischen Erzählungen und die Lyrik von Paul Celan, Ingeborg Bachmann und Ossip Mandelstamm. Es lebt von den Wiederholungen, Überkreuzungen und Assoziationen, die durch immer wiederkehrende Themen und Motive evoziert werden.
Die 23 Vitrinen und sechs Photographien, die Anselm Kiefer zwischen 2014 und 2016 unter dem Titel Opus Magnum zusammengefasst hat, spiegeln dieses Netz von Beziehungen, Referenzen und Zitaten, die er in seinem Werk verwebt. Die Bedeutung von Opus Magnum ist ambivalent. Der Titel kann das zentrale große Werk des Künstlers, sein Meisterwerk bezeichnen. Er lässt sich aber auch auf die alchemistische Bedeutung des Transformationsprozesses von unedlen Metallen in Gold verstehen, der in Kiefers Werk eine grundlegende Rolle spielt. Vor dem Hintergrund der Monumentalität und Gewichtigkeit der Gemälde und Installationen Kiefers erscheint Opus Magnum auch als ein Titel mit ironischem Unterton. Denn die Vitrinen wirken leicht, hell, transparent. Ihre gläsernen Hüllen umfassen kunstvoll arrangierte Stillleben, ein komplexes, assoziationsreiches Ensemble von Dingen und Bedeutungen. Wie Zeitkapseln enthalten sie die verschiedenen Topoi von Kiefers Werks. Ein Mikrokosmos, der das Gesamtwerk, das Opus Magnum, spiegelt.
In engem Raum umfassen die gläsernen Schaukästen eine Vielzahl von Ideen, Konzepten und Bildern. „Ich denke in Bildern.“, sagt Anselm Kiefer, „Dabei helfen mir Gedichte. Sie sind wie Bojen im Meer. Ich schwimme zu ihnen, von einer zur anderen; dazwischen, ohne sie, bin ich verloren. Sie sind die Haltepunkte, wo sich in der unendlichen Weite etwas zusammenballt aus dem interstellaren Staub, ein bisschen Materie im Abgrund der Antimaterie. Manchmal verdichten sich die Trümmer von Gewesenem zu neuen Worten und Zusammenhängen.“ In einem quasi alchemistischen Prozess, so könnte man dieses Zitat verstehen, macht der Maler Worte, Gedichtzeilen oder Erzählungen zu Bildern, verbindet im Meer der Worte die besonderen Sätze der Dichter zu einem neuen bildnerischen Zusammenhang.
Im Dialog mit den Dichtern und Erzählern entwickelt Kiefer sein malerisches Werk und die Spuren dieses kontinuierlichen Austauschs mit den großen Texten und Mythen der Weltliteratur lassen sich auf seinen Bildern ablesen. Kaum ein Werk Kiefers ist nicht beschriftet, überall trifft man auf seine linkisch wirkenden, wie im Traum geschriebenen Zeilen. Auch die Orientierung an den lyrischen Haltepunkten scheint unreflektiert, unbewusst, denn Anselm Kiefer schreibt immer zum Schluss auf seine Leinwände, wenn sich die Distanz zwischen seiner Arbeit und ihm einstellen muss. Erst das abgeschlossene Werk offenbart dem Maler die eigenen Inspirationsquellen.
Man muss die Gedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die autobiographischen Skizzen von Ossip Mandelstam nicht kennen, muss nicht wissen, woher die Wallküren kommen und wer die Verwandlung der Daphne geschildert hat, um einen Zugang zu den Vitrinen mit ihrem oft rätselhaften Inhalt zu finden. Die Worte sind Wegweiser der Betrachtung. Sie geben aber nur die Richtung an, denn Anselm Kiefer erzählt die uns allen bekannten, wenn auch nur vage erinnerten Geschichten neu und anders. „Der Mythos stellt dar, er gibt Antwort auf die Frage woher wir kommen, wohin wir gehen, was wir sind. Nur wir können ihn nicht immer lesen. Deswegen enthüllen ihn Kunstwerke durch die Zeiten immer anders.“
Wie kann man Kiefers Erzählungen folgen? Sie sind weder eindeutig noch logisch, wechseln die Zeitebenen und die Bezugsfelder. Es gehört zu ihrem Wesen, dass sie vergeheimnissen was sie zeigen. „Die Kunst ist insofern verborgen, als man mit einem klaren Diskurs nicht an sie herankommt. Sie ist auch entborgen, weil sie mehr als jede Wissenschaft aussagt.“ , beschreibt Anselm Kiefer diese besondere Qualität und gibt damit eine Möglichkeit vor, sich seinen Werken zu nähern: Wenn der klare, wissenschaftliche Diskurs nicht zum tieferen Verständnis führt, bietet sich ein anderer, weniger analytisch als assoziativ vorgehender Sprachduktus an. Diese Überlegung führte bei der Konzeption der Ausstellung zu der Idee, Schriftsteller und Essayisten um Texte zu den einzelnen Vitrinen zu bitten und sich Kiefers Werken damit von den Haltepunkten aus zu nähern, die von ihm selbst als konstitutiv für sein Werk benannt werden. Ut pictura poesis nicht als Wettstreit, sondern im Sinne einer gegenseitigen Verstärkung und Ergänzung.
Die fünfzehn Autoren, die dieser Einladung gefolgt sind, haben Texte geschrieben, die so unterschiedlich sind, wie die jeweiligen Schreibstile, Interessen, Hintergründe. Fünfzehn Texte, die immer wieder neue Fäden aufnehmen bei der Suche nach dem Sinn, der Interpretation der Form, dem Verständnis der Symbole. Sie sind poetisch, fragmentarisch, assoziativ, erläuternd. Sie gehen von alten Geschichten aus, um eine neue Erzählung zu entwickeln, spinnen die Fäden weiter, die Anselm Kiefer begonnen hat, entwirren sie und verweben sie neu.
Durch dieses Ausstellungskonzept versuchen wir einen besonderen Zugang zum oft rätselhaft erscheinenden Werk Anselm Kiefers zu finden, der die Betrachter aus dem Zwang entlässt, die Motive zu entziffern und zu übersetzen und ihm die Freiheit gibt, sich den eigenen Assoziationen zu überlassen.
Eine Ausstellung zu Anselm Kiefer ist schon lange ein Wunsch für das Franz Marc Museum. Denn eine grundlegende konzeptionelle Idee des Museums ist die Frage, was das Werk Franz Marcs mit der Gegenwart verbindet. Deshalb wurden bisher Ausstellungen zu Franz Marc und Joseph Beuys, zu Georg Baselitz Tierstücken oder zu den Holzschnitten von Franz Marc und Per Kirkeby gezeigt.
Mit Anselm Kiefer verbindet Franz Marc ein skeptischer Blick auf die Moderne, auf ihre bedingungslose Fortschrittsgläubigkeit und ihren Pragmatismus. Beide Künstler rufen mit ihrer Kunst Bilder und Themen auf, die an eine lange vergangene Weltsicht erinnern.
Öffnungszeiten
Dienstag-Sonntag und an Feiertagen
(Montags geöffnet, wenn Feiertag auf einen Montag fällt)
April-Oktober 10-18 Uhr
November-März 10-17 Uhr
Geschlossen am 24. und 31. Dezember
Eintrittspreise
Erwachsene: 8,50 €
Kinder bis 6 Jahre: kostenlos
Kinder/Jugendliche (7-16 Jahre): 3,50 €
Familienkarte: 19,00 €
Schüler/Studenten (ab 17 Jahre): 6,00 €
Behinderte (ab 70% mit Ausweis): 6,00 €
Anreise
Franz Marc Museum
Mittenwalder Str. 50
82431 Kochel am See