Beschäftigt man sich mit kirchlichen Museen und ihren Präsentationskonzepten, so führt kein Weg an dem Werk „Gott hat kein Museum“ von Johannes Rauchenberger vorbei.1Vgl. Rauchenberger, Johannes: Gott hat kein Museum | No Museum Has God. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts | Religion Art in the Early 21st Century“, Bd. 1–3. Paderborn 2015. In dem 2015 erschienenen dreibändigen Werk entwirft der Kunsthistoriker und Theologe ein virtuelles Museum, welches Kunst – dem bildtheologischen Verständnis entsprechend – als Medium der Rede von Gott versteht und fragt, wie Religion in der Kunst der Gegenwart vorkommen kann.2Vgl. Rauchenberger: Gott hat kein Museum 1 4.
Strukturiert ist dieses Museum, welches sich nicht als Gebäude, sondern in Werken realisiert, in zehn imaginäre Räume mit unterschiedlichen Fragestellungen.3Vgl. ebd. VIII. Innerhalb dieser Räume wird eine Betrachtung verschiedener Werke in Kombination mit Einführungstexten, Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern und vertiefenden Essays geboten.4Vgl. ebd. IX. Entstanden ist das Projekt aus einer Sammlung bereits gezeigter Werke, wodurch sich Orte der konkreten Präsentation ergaben.5Vgl. ebd. IX. Teile des virtuellen Museums wurden im Programm des Kulturzentrums bei den Minoriten – abgekürzt KULTUM – realisiert.
Das Kulturzentrum ist ein Mehrspartenhaus für zeitgenössische Kunst, Gegenwartskultur und Religion im Kloster Mariahilf in Graz. Es wurde 1975 von Bischof Johann Weber gegründet und ist heute zum Teil in kirchlicher Trägerschaft. Das KULTUM ist ein Ort des Diskurses für Gegenwartsfragen und Religion und wird seit 1999 von Johannes Rauchenberger geleitet.6Vgl. Rauchenberger, Johannes: Das KULTUM …, URL: https://www.kultum.at/einrichtung/137/kulturzentrum/kultum_allgemein, abgerufen am: 18.07.2020. Nicht nur Teile des beschriebenen virtuellen Museums, sondern auch zusammenhängende Ausstellungen werden im Kulturzentrum gezeigt.7Vgl. Rauchenberger: Gott hat kein Museum 1 4. „Gott hat kein Museum“ ist für diese Auseinandersetzung mit Religion in der Kunst des beginnenden 21. Jahrhunderts die leitende These.
Wir haben uns jener Behauptung zusammen mit Johannes Rauchenberger während eines Besuchs des KULTUM in Graz genähert. Warum hat Gott kein Museum? Kann man Gott in der (Gegenwarts-)Kunst vorfinden? Warum kann kein Museum Gott fassen?
Museen sind in erster Linie Präsentationsräume für Kunst. Kunst kann elementare Erfahrungen durch Staunen oder Hinterfragen hervorrufen. Kunst ist ästhetisch erfahrbar. Kunst kann als kulturelle Äußerungsform wahrgenommen werden. Doch inwiefern kann Kunst mit Gott zusammenhängen oder eben nicht zusammenhängen? Können auch religiöse Erfahrungen durch Kunst hervorgerufen werden? Kann Gott in der Kunst vorkommen und im Museum zu finden sein?
Wolfgang Schöne behauptet, der christliche Gott habe im Abendland eine Bildgeschichte gehabt, inzwischen sei diese jedoch abgelaufen.8Vgl. Schöne, Wolfgang: Die Bildgeschichte der christlichen Gottesgestalten in der abendländischen Kunst, in: Howe, Günter (Hg.): Das Gottesbild im Abendland. Mit Beiträgen von Wolfgang Schöne, Johannes Kollwitz, Hans von Campenhausen. Berlin 1957, 7–56. Was könnte dazu geführt haben, dass die Bildgeschichte Gottes vergangen ist? Ist Kunst immer säkularer geworden?9Vgl. Rauchenberger: Gott hat kein Museum 1 6. Kann sich das Christentum nicht mehr adäquat in den heutigen Bilddiskurs einbringen?10Vgl. ebd. 6-7. Ist christliche Kunst lediglich museal anerkannt, herausgerissen aus ihrem eigentlichen Zusammenhang, ein Teil eines ehemals Ganzen11Vgl. Kathan, Bernhard: Zur Zukunft von Diözesanmuseen: Erlebniskultur oder Konfliktorientierung, in: Das Münster: Kirchliche Museen und Schatzkammern 2 (2003), 115. und daher losgelöst von einer christlichen Bildgeschichte, von Religion?
Johannes Rauchenberger widerspricht der These einer abgelaufenen Bildgeschichte Gottes. Aus der christlichen Inkarnationsvorstellung folgt seiner meiner Meinung nach die Notwendigkeit einer Bildtheologie und einer andauernden Bildgeschichte Gottes.12Vgl. Hoeps, Reinhard: Jenseits der Nostalgie. Was ist Bildtheologie?, in: Herder Korrespondenz Spezial: Irritierende Schönheit. Die Kirche und die Künste 1 (2012), 31. Die Religion entwickle dadurch ein weitertreibendes Bildmoment: „Gäbe es nicht heutige Bilder, die die Bildgeschichte Gottes aktualisieren, dann wäre diese Religion kulturell tot und die These vom ‚Ablauf der Bildgeschichte Gottes‘ hätte gestimmt.“13Bucher Trantow, Katrin / Rauchenberger, Johannes / Steiner, Barbara: Glaube Liebe Hoffnung. Zeitgenössische Kunst reflektiert das Christentum (ikon). Paderborn 2018, 92.
Der Leiter des KULTUM versteht Musealisierung nicht als eine Sammlung von Werken, die ansonsten verlorengehen würden, sondern als ein Ausschauhalten nach Ereignissen und Erfahrungen, die sich in der Gegenwart ereignen.14Vgl. Rauchenberger: Gott hat kein Museum 1 10. Ein kirchliches Museumskonzept müsse versuchen, den Prozess des Dialoges zwischen Kunst und Kirche immer wieder neu zu beleben. Musealisierung sei in diesem Sinne ein „Akt der Gegenwart“.15Vgl. ebd. Wenn man die „abgelaufene Bildgeschichte“ mittels einer Kontrasterfahrung, hervorgerufen durch autonome Gegenwartskunst, wahrnehmen könnte, so könne die ästhetische Erfahrung als Übersetzung fungieren.16Vgl. ebd. 9. Kein Museum kann Gott fassen, aber Kunst kann im Austausch religiös-ästhetische Erfahrungen hervorrufen:
„Christliche Vorstellungen sind im Museum zunächst einmal Darstellungen, in Bildwerken materialisierte Vorstellungen. Der anvisierte Dialog basiert also darauf, daß Werke in einen Gesprächszusammenhang gerückt werden, und zwar die gastgebenden Werke der vorhandenen Sammlung mit den gebetenen Gästen von außerhalb. […] Ein von außen hereingeholtes Kunstwerk der Moderne sollte die Kraft entwickeln, die vorhandenen, oft eben in den überkommenen Sehkonventionen abgesunkenen Schätze so zu beleuchten und zu beleben, daß sie ihren Ruhestand als historische Dokumente überwinden und als Gesprächspartner in dem, was uns heute bewegt, präsent werden.“17Stock, Alex: Bilderfragen. Theologische Gesichtspunkte (IKON. Bild + Theologie). Paderborn 2004, 87.
In der Moderne trennt sich die Kunst von der Kirche. Doch dieses Desiderat, das vermeintliche Ende der christlichen Bildgeschichte, hat eine solch ästhetische Dimension, dass es zur Grundvoraussetzung moderner Bildtheologie wird: Kunst als Medium der Rede von Gott.
Mit der Inkarnation wird die Unsichtbarkeit und Undarstellbarkeit Gottes in Jesus Christus überwunden. Christus sei „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15 EÜ), ein Bild, welches sein unsichtbares Urbild vergegenwärtigt.18Vgl. De Santis, Andrea: Denkbilder. Zum Wechselspiel zwischen Erscheinung und Wahrnehmung (IKON. Bild + Theologie). Paderborn 2013, 178. Die Unsichtbarkeit Gottes manifestiert sich im Gegenteil, im Sichtbaren. Durch Christus gewinnt die Bildwerdung Gottes ikonische Qualität.19Vgl. Stoellger, Philipp: Das heilige Bild als Artefakt. Die Latenz in der Produktion von Präsenz, in: Dohmen, Christoph / Wagner, Christoph (Hg.): Religion als Bild. Bild als Religion (Regensburger Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 15). Regensburg 2012, 207f. Bilder werden „zum Ort der anschaulichen Vergegenwärtigung dessen, der sich dem menschlichen Blick entzieht, sich gerade darin aber in seiner Gegenwart unter den Menschen zeigt.“20Hoeps, Reinhard: Gott sehen? Erste Fragen der Bildtheologie, in: einBlick Bildtheologie 2/1 (2020), 2. Das Abbilden der Gottebenbildlichkeit wird durch die Menschwerdung Gottes möglich. Zugleich wird die Negation des Bildes – also die Unsichtbarkeit Gottes – zur Voraussetzung einer andauernden Bildgeschichte Gottes. Die Kunst der Gegenwart löst sich von religiösen Vorstellungen und ikonographischen Motiven. Dadurch gelangt das Bild als ein Leitmodell der Theologie nicht an ihr Ende, sondern gewinnt eine neue Dimension.21Vgl. ebd. 3. Die Verbindung zwischen bildlicher Vorstellung und theologischer Reflexion ermöglicht einen Dialog zwischen Religion und Kunst.
„Nicht mehr die bisherigen bekannten Codes religiöser christlicher Kunst konnten als Merkmale einer Ars religiosa weiterhin kenntlich gemacht werden, sondern eine allgemeine Transzendenz, eine frei flottierende Spiritualität […].“22Rauchenberger: Gott hat kein Museum 1 29.
Zeitgenössische Kunst reflektiere demnach das Christentum. Sie ermögliche Nachdenken, kritisches Hinterfragen, Widerspiegeln, die Abstraktion der eigenen Wahrnehmung und Vorstellung. Rauchenberger sieht die Kunst als Teil einer gesellschaftlichen Debatte und eines kritischen Diskurses. Ihm geht es nicht darum, mit seinen Ausstellungen ein Ergebnis auf die Frage, wie Religion in der Kunst der Gegenwart vorkommen kann, zu präsentieren. Vielmehr können Museen und Ausstellungsräume Orte sein, die es ermöglichen, durch Kunst eine Begegnung und Auseinandersetzung mit der Kirche, dem eigenen Glauben und Gott hervorzurufen.
Der Titel „Gott hat kein Museum“ macht Rauchenbergers Auffassung deutlich: Kein reales Museum kann Gott jemals genügen. Ihm sollte vielmehr ein Museum gewidmet werden, in dem die moderne Kunst Gott nicht vollumfänglich darstellt, sondern in dem der Betrachtende durch ikonographische Motive in Werken der Gegenwart zur Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben angeregt wird.23Vgl. ebd. 9.
Kein Museum kann Gott fassen. Nicht etwa, da die Bildgeschichte Gottes abgelaufen ist, sondern weil religiös-ästhetische Erfahrungen nur dann hervorgerufen werden, wenn Kunst und Kirche in einen Dialog treten. Museen können zu einem Ort der Rede von Gott werden, doch lediglich die Kunst vermag es in diesem Zusammenhang, das Medium der Rede von Gott zu sein. Gott kann in der (Gegenwarts-)Kunst vorgefunden werden. Musealisierung ist für Johannes Rauchenberger ein „Ausschau halten [nach etwas,] was sich in der Gegenwart ereignet“.24Ebd. 4. Wenn Kunst Teil eines gegenwärtigen Dialoges ist, können ästhetische Erfahrungen dazu beitragen, dass Kunst als Medium der Rede von Gott erkannt wird. Die durch die Negation des Bildes hervorgerufene Offenbarung ermöglicht eine andauernde Bildgeschichte Gottes, welche es mit Hilfe der Gegenwartskunst gilt, zu aktualisieren.